Zwischen Schwarz und Weiß

von Bettina Kreps

Was wäre, wenn du das Leben nicht nur im „Schwarz-Weiß-Modus“ betrachtest?

Manchmal leben wir in einer Entweder-Oder-Welt und sehen daher oft nicht mehr das ganze Spektrum, das uns zur Verfügung steht. Was wäre, wenn aus dem „entweder-oder“ ein „sowohl -als auch“ wird? Wenn wir unsere Welt gar nicht in diesem Schwarz-Weiß-Modus betrachten müssen, sondern uns auf die vielen Zwischentöne einlassen dürfen? Einer meiner Klienten hat mich mit einer Aussage inspiriert: „Ich kenne nur ein Gas und das ist Vollgas“.

Aber was passiert mit und in uns, wenn wir immer nur Vollgas fahren? Wenn wir bildlich gesprochen in einem Auto mit 400 PS sitzen und gar nicht wissen, wie wir es bedienen sollen? Aus meiner Sicht passen diese Aussagen sehr gut zusammen, denn wenn unsere Welt so eingeschränkt ist, wenn wir unsere PS nicht auf die Straße bringen, sind wir komplett in diesem „Schwarz-Weiß-Modus“ gefangen. Wir sind sozusagen aus unserer Mitte gefallen.

Doch was bedeutet es, „in der Mitte zu sein“ aus dieser Sichtweise von außen?

Es kann in diesem Fall bedeuten, dass es nicht erstrebenswert ist, langweilig, Mittelmaß, uninteressant und fad zu sein. Wir haben so viel Angst, uns in diese Mitte zu begeben, Angst, dass es dort öde wird, aber auch Angst davor, was wirklich passiert, wenn wir einmal in unserer Mitte sind. Wenn es ruhig um uns wird. Die Ursache, warum wir uns nicht trauen in der Mitte zu leben, kommt oft von Erlebnissen aus der Kindheit oder sind sogar noch aus der Zeit im Mutterleib gespeichert. Manchmal sind diese Erlebnisse, die uns noch immer unbewusst begleiten, sehr tiefgreifend. Sie vermitteln uns, dass wir es nicht wert sind, zu leben.

In diesem Kontext begegnet mir auch oft der verlorene Zwilling. Wir machten im Mutterleib die Erfahrung zu zweit zu sein und dann entscheidet sich die andere Seele diese Reise nicht zu vollenden und wieder zurückzugehen. Manche Menschen wissen gar nicht, dass sie ein Zwilling waren, sie tragen in sich aber immer das Gefühl etwas verloren zu haben. Trauern um etwas, das sie nicht begreifen können oder fühlen sich für etwas schuldig und wissen nicht wofür. Sie suchen im Außen, fühlen sich nicht gut genug, wertlos und wenn sie dann den Versuch starten, in ihre Mitte zu kommen, kommt diese unbändige Angst davor. Diese Angst, sich mit sich selbst zu beschäftigen.

Wenn wir ein Selbstbild haben, in dem wir uns nicht gut genug fühlen, indem wir glauben, wir hätten nicht die Berechtigung zu leben, wir wären es nicht wert, haben wir häufig in uns Erfahrungen aus der Kindheit gespeichert, die nun ans Licht drängen.

Unser Schutz war der Vollgasmodus: „Wenn ich mich genug ablenke, der Außenwelt beweise, wie gut ich bin, muss ich mich nicht mit mir selbst und dem was in mir ist, beschäftigen.“ Denn aus dieser Sicht sind wir ja im Vollgasmodus und das Leben läuft so schnell, dass wir unser Innerstes oft gar nicht fühlen.

Doch wenn man sich dann in die Mitte wagt, sich dessen bewusst wird, dass zwischen Schwarz und Weiß das komplette Farbspektrum möglich ist, und es nicht das Nichts dazwischen gibt, kann dir bewusst werden, welche Vielfalt in Bunt enthalten ist. Dann zeigt dir das Leben auf einmal so viele Möglichkeiten, so viel Fülle, und du erkennst, dass aus dieser Mitte heraus alles möglich ist und du frei wählen kannst. Dann beginnst du auch deine PS mit der richtigen Energie auf die Straße zu bringen.

Du veränderst deine Sichtweise komplett und wirst zum staunenden Kind, das die Welt auf neue Art und Weise entdeckt. Du bemerkst, dass die Mitte nicht gefährlich ist, dass du nicht ‚„schlecht” bist und in dir ein liebevoller Kern steckt, der mit deinem alten Selbstbild nur bedingt oder vielleicht auch gar nichts zu tun hat. Und du kannst dich wieder um dich kümmern, ohne dich zu sabotieren. Wenn du dich wieder um dich kümmern kannst, kannst du dich auch wieder für andere Menschen öffnen, kannst wieder Verantwortung im Außen übernehmen, denn dann ist deine Kraft zurück und du kannst für dich entscheiden, heute Vollgas, morgen wenig Gas und dazwischen so viel Gas, dass ich in meiner Balance bin. In mir, in meiner Mitte, wo alles möglich ist. Wo das ganze Spektrum da ist und ich frei wählen kann und darf.

Dann wird das Leben wieder bunt und erstrebenswert und du wirst dein wahres Ich erkennen und immer mehr leben. Denn in dir steckt ein wunderbarer Kern, der nur darauf wartet, von dir gesehen zu werden. Denn eines kann ich mit Gewissheit sagen: Oft sieht das Außen diesen Kern schon lange. Doch wenn das Außen uns dies zeigt und sagt, können und wollen wir es gar nicht annehmen. Wir fühlen uns sogar manchmal auf den Arm genommen, weil unser Selbstbild so schlecht ist, dass es vom Außen so sehr abdriftet. Wenn wir uns aber einmal darauf einlassen und unserem Kern erlauben, sich in jede Zelle von uns auszubreiten, dieser Angst erlauben, zwar da zu sein, aber nicht am Steuer des Lebens, sondern nur im Hintergrund, als stiller Mitreisender, der nichts zu sagen und nichts zu bestimmen hat, dann beginnen wir immer mehr unser wahres Ich zu leben.

Wenn wir dem Schmetterling in uns erlauben zu fliegen, weil wir der Raupen schon viel zu lange entwachsen sind, werden wir mit uns und unserem Tun andere Schmetterlinge dazu ermutigen, sich zu zeigen und sich nicht länger unter den Raupen zu verstecken.

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